Brunhilde Seemann

Meine Erlebnisse auf dem Jakobsweg

19.05.-12.06.2008: 500km von Burgos (Spanien) bis Santiago de Compostela

Der Anlass der Pilgerwanderung

Warum habe ich diesen Pilgerweg überhaupt in Angriff genommen. Ich habe mich schon seit langem für dieses Abenteuer interessiert. Durch Heinrich IV (Weg nach Canossa, ein Buß
gang, der natürlich nicht unbedingt mit dem Jakobsweg zu vergleichen ist) und ähnliche geschichtliche Begebenheiten war ich schon immer beeindruckt. Es waren auch nicht spirituelle oder christliche Motive, sondern eher die Hoffnung, dass Menschen verschiedenster Generationen, Nationalitäten, Motivationen usw. sich auf ein Abenteuer und eine lange Wanderung vereinigten. Vielleicht gab auch den letzten Anstoß, es nun endlich zu wagen, das Buch von Harpe Kerkelin Es war von Anfang klar, dass ich diese Tour nicht mit Artur unternehmen konnte. Aus gesundheitlichen Gründen (Oberschenkelbruch) konnte er diese Strapazen nicht auf sich nehmen. Marianne, eine Bekannte von mir, war von meinem Vorhaben ganz begeistert – zumal ihr Sohn diesen Pilgerweg schon hinter sich hatte. Wir machten auch schon Probewanderungen Mittlerweile hatte sich uns Nora, (die auch ganz begeistert war) angeschlossen. Leider konnte dann Marianne den Weg nicht mitgehen. So haben Nora und ich uns zusammen getan und sind ca. ½-Jahr lang jede Woche einmal Probe gewandert. 20-30 Km – pro Tag waren nach kurzer Zeit die Norm, z.B. Flörsheim-Frankfurt/Trebur-Mainz/ Trebur-Kühkopf Trebur-Nackenheim und Umgebung usw. Die letzten Wochen sind wir auch nur noch mit Rucksack gewandert. Selbstverständlich mit dem späteren Gewicht von ca. 10 kg. Es ist gar nicht so einfach, vieles von vornherein aus zu sortieren Wir mussten aber strenge Maßstäbe an die mitzunehmenden Kleidungsstücke legen. Das Gewicht durfte nicht überschritten werden. Jedes kg wäre bei 500-km Fußmarsch eine große Belastung. Auch waren wir bemüht, nur leichte und schweißabsondernde T-Shirts usw. zu haben. Wir beide waren also gut vorbereitet und waren von Anfang an ein wirklich gutes Team; das aufeinander eingehen war von Anfang an vorhanden; die Chemie stimmte bei uns Beiden. Durch den Bauchtanz kannten wir uns auch schon lange und hatten somit ähnliche Interessen. Die Vorbereitung und das Verstehen zahlten sich auch aus. Auf der ganzen Tour hatten wir miteinander Spaß und keine Probleme. Ich hatte auch einen wirksamen Talisman von Marieluise, eine Schildkröte aus Olivenholz, mit auf den Weg bekommen. Diese sollte mich daran erinnern, dass Zielstrebigkeit und Durchhaltevermögen unerlässlich ist. Eine gute Sache war auch, dass sehr viele Bekannte großen Anteil an unserem Unternehmen nahmen und uns alles Gute wünschten.

 

Legenden und Sagen um den Pilgerweg

 Legenden und Sagen dürfen nicht als reine Geschichten abgetan werden. Sie haben einen mehr oder weniger großen historischen Hintergrund, auch, wenn dieser auf ein Missverständnis hindeutet. Es handelt sich dabei aber nicht um einen Schwindel, sondern eine Folge von Irrtümern in gutem Glauben begangen! Legenden haben auch eine Bedeutung für den Menschen, die sicherlich im Mittelalter wesentlich größer war. Pilgerfahrten setzten Millionen Menschen in Bewegung, die durch die Wanderung der Strafe und sogar manchmal der Todesstrafe entgingen. Der Legende nach führte um 813 eine Sternen-Erscheinung den galicischen Hirten Peleyo zum Grab des heiligen Jakobus. Schon seit dem 5.Jh. hatte es Hinweise gegeben, dass Jakobus der Ältere in Spanien missioniert habe. Nach Palästina zurückgekehrt, sei er auf Befehl von König Herodes Agrippa I (44 n. Chr.) geköpft worden. Auf wundersame Weise sei der Leichnam des christlichen Märtyrers auf einem Schiff von Palästina nach Galicien gelangt und bei Iria Flavia (heute Padron) an Land geschwemmt worden. Nach einigen Schwierigkeiten hätten Jakobus Jünger den Leichnam am späteren Fundort bestattet. Bischof Theodomir von Iria Flavia erklärte die von Pelayo entdeckten Reliquien für echt. Alfonso II, König von Asturien und Leon, ließ zu Ehren Jakobus (span. Santiago) an der Fundstelle “Sanct Jakobus in Campo stellae“ (der heilige Jakobus im Sternenfeld) dem „Sternenfeld“ eine Kirche errichten. Die Bezeichnung Sternenfeld war auch der Anlass, den Weg der Wallfahrer mit der Milchstrasse in Verbindung zu bringen.
Jakobus wurde der Schutzpatron Spaniens und seinem Schutz wird die Rückeroberung des Landes aus der Hand der Mauren zugeschrieben. Er erschien nach der Legende 844 in der Schlacht von Clavijo in Nordspanien auf einem Schimmel und führte die Christen zum Sieg; danach wurde er auch Mauresmo, der Maurentöter, genannt.
Neben Rom und Jerusalem ist Santiago de Compostela das dritte große Wallfahrtsziel der Christenheit.
Welche Bedeutung über das Religiöse hinaus der Jakobsweg hat, macht ein Ausspruch Goethes deutlich „Europa ist auf der Pilgerschaft geboren und das Christentum ist seine Muttersprache.“ Wohl auch wegen dieser Erkenntnis erklärte der Europarat im Jahre 1987 die historischen Jakobswege zur „Ersten Europäischen Kulturstraße“. Als europäisches Phänomen seien sie geeignet, das Bewusstsein für die kulturelle Identität Europas und seine abendländische Erbschaft zu fördern. Auf diese Weise könne Europa als Raum der Begegnung und des gegenseitigen Kennen Lernens erfahrbar gemacht werden.

 

Die Jakobsmuschel als Pilgerzeichen

 
Das Zeichen der Santiago-Pilger war die Jakobsmuschel. Sie war aber nicht nur ein Pilgerabzeichen. Sie allein hatte schon eine magische Wirkung. Sie heilte Kranke und brachte all denen Glück, die eine "wahre" Jakobusmuschel entweder in Santiago oder bei einer dem Jakobus gewidmeten Heiligenstätten am Jakobsweg gekauft hatten oder sie an der Küste bei Cap Finisterre (oder Finistere) aufgesammelt haben.
 
Den Ursprung dieser Jakobsmuschel findet sich, wie so oft in einer Legende. Es wird berichtet, dass ein portugiesischer Ritter zu Pferd in der Nähe von Padròn an der Anlegestelle jenes Schiffes stand, welches Jakobus nach Spanien brachte. Als das Pferd den wundersamen und hellen Schein sah, der von einem Stern herab auf den Apostel fiel, war es von dem Anblick so verstört, dass es in das Wasser sprang und den Ritter mit sich in die Tiefe riss. Der Ritter wurde gerettet und an Bord gezogen. Die Retter sahen voller Staunen, dass sein Körper voll mit Jakobsmuscheln bedeckt war. Es existieren noch weitere Legenden, die sich um die Jakobsmuschel ranken. Alle besitzen im Wesentlichen das gleiche Muster einer Geschichte, nämlich eines durch Jakobus wundersam geretteten Menschen.

Das Schwert

Das Schwert kann bei Darstellung von Heiligen ein Zeichen für den Märtyrertod sein. Eine Verbindung des Schwertes zu Jakobus ist in Dausenau (bei Bad-Ems an der Lahn) in der ev. Kirche St. Kastor zu finden. In deren Altarraum wurden bei der Renovierung 1864 mittelalterliche Fresken gefunden, die als Fries um den Chorraum verlaufen. Sie zeigen Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu, die sich mit Apostelfiguren abwechseln. Eine davon stellt Jakobus den Älteren dar, allerdings noch nicht mit der Muschel als Erkennungszeichen, sondern mit dem Evangelium in der rechten Hand, während sich seine linke Hand auf ein Schwert stützt. Durch das Schwert nämlich erlitt er im Jahre 44 n.Chr. das Martyrium im heiligen Land, wo er auf Befehl von König Herodes Agrippa I geköpft wurde.
 
Im Buddhismus und Daoismus ist die Bedeutung des Schwertes: Einsicht und Urteilskraft. Interessant im Buddhismus ist auch das Bild: „so wie das Schwert den Knoten durchschneidet, so soll der Intellekt die verborgenen Winkel buddhistischen Denkens durchdringen.
 
Im Islam ist das Schwert ein Zeichen für den heiligen Krieg gegen die Ungläubigen, doch auch ein Symbol für den Kampf gegen die eigene Bosheit.
 

Ich beginne nun mein Tagebuch mit einem Pilgergebet 

Aufbruch
Morgen breche ich auf,
zum Jakobsweg breche ich auf,
alle wünschen mir Glück,
Alle freuen sich mit mir,
sie beneiden mich gar.
Nur Du, Herr, weißt mehr:
Du kennst meine Angst,
die Angst vor der Fremde,
die Angst vor dem Weg,
die Angst zu versagen,
die Angst, nie anzukommen
an meinem Ziel.
Dabei bist Du doch der Weg,
dabei bist Du ja mein Ziel,
dabei bist Du meine Freude,
Dabei bist Du all mein Trost!
Endlich kann ich mich freuen
und Du freust Dich mit mir.
 
Es ist soweit, die Pilgerreise beginnt – Nora und ich sind unterwegs
 
 
 
Die Gesamtroute von Burgos bis Santiago
 

19.05.2008

Pünktlich um 14.50Uhr Flug 4475 starten wir mit RYANAIR in Frankfurt-Hahn und erreichen um 16.55Uhr ‚Santander. Wir hatten noch Zeit und sind noch etwas am Meer spazieren gegangen. Um 19.00Uhr ging es dann planmäßig mit dem Bus in Richtung Burgos. Die Fahrt über Land – mehr Berge – war traumhaft. Um 22.00Uhr kamen war dann in Burgos an. Da wir keine Unterkunft gebucht hatten, begann nun ein Abenteuer. Eine Passantin, sie sprach etwas Deutsch, führte und zur Herberge (auf spanisch Albergue). Leider war da schon zu. Die Frau war aber mittlerweile weg und wir hatten immer noch keine Unterkunft. Im Park und auf einer Bank wollten wir aber auch nicht schlafen, so sind wir wieder Richtung Stadt marschiert, und das nachts gegen 24.00Uhr. Zwei Frauen mutterseelenallein in einer fremden Stadt, keine Spanischkenntnisse, jeweils einen schweren Rucksack auf dem Rücken und keine Schlafgelegenheit. Ein Taxi fuhr ohne zu halten vorbei. Dann tauchte ein Auto, mit einem „männlichen Engel“, auf. Er sprach kein Wort Deutsch, erkannte aber unsere Notsituation, da wir mit Händen und Füßen auf unsere Lage hinwiesen. Er verfrachtete uns in sein Auto, wir dachten gar nicht an eine Gefahr, und er brachte uns außerhalb der Stadt in ein Hotel. Wir waren froh, müde und glücklich, dass alles so gut noch gelaufen war. Diese Schwierigkeiten hätten wir natürlich vermeiden können. Warum haben wir an der Bushaltestelle nicht ein Taxi genommen? was soll es? geschehen ist geschehen und wir haben gleich am Anfang Lehrgeld bezahlt und etwas dazu gelernt!
 

Die erste Etappe

20.05.2008

Morgens gegen 08.00Uhr begann unsere Wanderung, unsere erste‚ Etappe von Burgos der Eingangspforte nach Kastilien. Richtschnur für die nächsten dreieinhalb Wochen war nun die Jakobsmuschel und die gelben Pfeile auf Hinweisschilden und der Straße/Wegen die uns die Richtung nach Santiago de Compostela – unser Ziel – wiesen. Von diesem Moment an, begann ein Marsch ins unbekannte mit einer Länge von gut 500km. Wir hatten noch keine Ahnung was uns bevorstand. Der erste Pilger den wir zu Gesicht bekamen, war ein Pilger auf dem Fahrrad. Er überholte uns mit dem Gruß:“ Buen Camino“ was auf Deutsch „guten Weg“ bedeutet. Der Gruß, zumal auch noch die erste Begegnung mit einem Pilger und dann diese Herzlichkeit: ich bekam eine Gänsehaut und mir war in diesem Augenblick bewusst „ich war eine PEREGRINA, eine Pilgerin und ich war auf dem richtigen Weg. (Nora verstand hier Don Camillo. Dieser Gruß, also „Don Camillo“ wurde später oft gebraucht und führte zu großer Heiterkeit. Die Antwort war stets „und Peppone“).
Die Freude auf den herzlichen Gruß währte nur kurz, denn meine geliebten Wanderstöcke gaben nacheinander den Geist auf. Ich saß am Wegesrand und betrachtete wehleidig meine halben Stöcke. Die ganze Vorbereitung hatten sie mich unterstützt. Für Nora war das kein großes Problem, da sie sowieso immer ohne Stöcke gelaufen ist. Sabine, eine Pilgerin kam vorbei, wollte die Stöcke reparieren, war leider nicht möglich. Wir sahen Sabine noch öfters auf unserer Tour.
Wir mussten ja weiter und nach ca. 18 km erreichten wir unser erstes Ziel, die kleine wunderschöne Ortschaft Namens Rabè de las Calzadas. Wir waren das erste Mal in einer Herberge, einem Refugium oder wie es auf dem Pilgerweg „dem Camino de Santiago“ (kurz nur „Camino“ genannt) heißt: „Albergue“. Gleich vorweg, die zweite Nacht war auch nicht so erbaulich. Unsere Herbergswirtin, von uns respektlos: „das Kommisweib“ genannt, war schon wunderlich. Wir mussten sehr genau Auskunft über uns geben, sie wollte einfach alles wissen; es war schon fast ein Verhör und dann mussten wir auch noch 20,00Euro pro Person einschl. des Pilgeressens (Linseneintopf) bezahlen. Für das karge Frühstück, bestehend aus zwei Stück trockenem Weißbrot und einem Würfelchen Butter und etwas Marmelade, nahm sie nochmals 5,00Euro. Wir machten auf dem gesamten Camino die Erfahrung, dass privat geführte Herbergen teurer waren als die vom Staat verwalteten. Unsere heutige Herberge war ein privat geführte. In allen späteren Alberguen war es günstiger. Heute wurden unsere Rucksäcke in Plastiksäcke gepackt und mit Fleischerhaken am Bett angebracht; auf das Bett durfte nichts gelegt werden (wir durften uns aber, Gott sei dank, drauflegen). Wir dachten, die erste Nacht nur mit Schwierigkeiten eine Unterkunft gefunden, die zweite Nacht eine merkwürdige Herbergsmutter, was wird uns noch erwarten? Aber gleich vorweg, es wurde nicht nur besser sondern es wurde eine traumhafte Pilgertour.

 

21.05.2008

Heute machten wir uns um 09.00Uhr auf den Weg. Berg auf, Berg ab, 18 km bis nach Hontanas. Am Vorabend hatten wir Felix, ein Franke aus Nürnberg, den wir seiner Figur wegen Bärli nannten, getroffen und dieser hatte sich uns heute angeschlossen. Bärli war von Beruf Motivationstrainer und baute uns auf eine eigentümliche Art und Weise auf, nämlich, er sagte uns direkt „Ihr schafft diesen Weg niemals“. Eine tolle Motivation. Da der nächste Ort noch 18-km entfernt war und wir uns am ersten Tag nicht zuviel zumuten wollten, machten wir hier halt. Wir fanden eine wunderschöne rustikale Albergue vor. Am Abend nahmen wir an einer sehr schönen Pilgermesse mit Gregorianischen Gesängen, denen wir andächtig lauschten, teil. Danach meldete sich der Hunger und wir gingen in das nächste Gasthaus und nahmen unser zweites Pilgeressen auf dem Camino zu uns. Kein Vergleich mit dem Vortag. ‚Das Essen war gut, wir konnten uns was zusammenstellen und erhielten noch eine Flasche Rotwein und alles für 9,00Euro pro Pilger. Unser Nachtquartier war ein Raum für fünf Personen, drei Männer und wir beide Frauen; allerdings waren von den dreien zwei Schnarcher und der dritte machte sich auf andere Art Luft. Es war nicht das Feinste, aber so ist das Pilgerleben Ein bisschen enttäuschend deshalb, da diese Burschen am Tage „schöne Spanier“ darstellten und in der Nacht das Gegenteil sich zeigte. Wir schliefen aber trotzdem gut.
 

22.05.2008

Heute begann der Tag schon um 05.00Uhr. Nicht, dass wir weg wollten, sondern unsere schönen Spanier fingen um diese unchristliche Zeit mit dem Packen, Geraschel der Plastiktüten und Gemurmel an. Ein krähender Hahn in der Nachbarschaft erheiterte auch nicht unbedingt. Wir blieben aber noch liegen und machten uns erst gegen 08.00Uhr auf den Weg. Leider war heute Regen angesagt. Bärli war schon vor uns gestartet und wir haben ihn erst kurz vor Santiago wieder getroffen. Im nächsten Ort kaufte ich mir einen Pilgerstab. Wie sich den ganzen Weg zeigte, hatte ich eine sehr gute Wahl getroffen. Mit dem Stab als Unterstützung konnte ich viel besser laufen und vor allen Dingen bei den Bergtouren mich auch sehr gut abstützen. Gute Dienste leistete er auch an den vielen Wasserlachen und in den vielen Schlammabschnitten. An manchen Stellen waren das Wasser und der Schlamm so hoch, dass die Knöchel noch bedeckt waren. Hier musste man dann, gestützt auf den Pilgerstab, große Sprünge vollbringen. Da dieser Stab vom Aussehen an einen Bischofsstab oder Papststab erinnerte, war ich von da an bei Mitpilgern „die Päpstin“. Da alles eine große Familie ist und man sich sieht und verliert, war dieser Name auf dem gesamten Camino geläufig. Es ging los und wir sind an diesem Tag 21 km bis nach Itero de la Vega gelaufen. Wir lernten heute unter anderem Ralf aus Karlsruhe und Nico aus Dresden kennen. Da Nico immer so selbstvergessen pilgerte und nur noch die Gans unter dem Arm fehlte, nannte ich ihn nur Hans im Glück.
Trotz aller Wetterwidrigkeiten war die Natur, die Umgebung eine Farbenpracht
und ich wurde immer wieder auf dem Weg  an das  Gedicht von Theodor Fontane erinnert.

 
GUTER RAT
An einem Sommermorgen
da nimm den Wanderstab,
es fallen deine Sorgen
wie Nebel von dir ab.
Des Himmels heitere Bläue
lacht dir ins Herz hinein
und schließt, wie Gottes Treue,
mit seinem Dach dich ein.
Rings Blüten nur und Triebe
und Halme von Segen schwer,
dir ist, als zöge die Liebe
des Weges nebenher.
So heimisch alles klingt
als wie im Vaterhaus,
und über die Lerchen schwingt
die Seele sich hinaus.

 
Ein ganz anderes Bild erlebten wir an unserem heutigen Etappenziel. Für die Nacht hatten wir uns einen Schlafsaal mit 40 Pilgern/rinnen ausge­sucht. Das ganze Anwesen (Hof und Haus) waren für uns ein mittlerer Schock. Es war etwas verkommen und überall hing die Wäsche zum trocknen. Nora sprach nur von der Walachei. Wir nahmen es aber trotzdem mit Humor, denn wir wussten ja nicht, was noch alles auf uns zukommen würde. In dieser Albergue haben wir unsere nassen und verschmutzten Klamotten mit der Hand gewaschen und dann mit Sicherheitsnadeln auf ein Stück Kordel angebracht. Habe auch noch den Akku für die Digitalkamera aufgeladen. Wider Erwarten wurde es ein schöner und lustiger Abend mit Japaner, Schweden, Österreicher, Holländer und Deutschen. Unter anderem war da Gunnar aus Schweden der unglücklich gestürzt war und am Mund genäht werden musste. Aus Groß-Gerau, unserer Kreisstadt, war da noch Heike Glassl sowie Martin aus Mainz und Alex aus Wien. Ein Schweizer übernachtete nicht in der Albergue sondern benutzte nur sein Zelt. Am anderen Morgen erzählte er in seinem wunderbaren Schwyzerdütsch „Heute Nacht war ein Tier an meinem Zelt, das hatte Hufen, ich weiß nicht was es war und es machte grunzende Geräusche“ ich sagte zu ihn „das war bestimmt eine Wildsau“ er meinte darauf „das kann sein“. solche oder ähnliche Begebenheiten begleiteten uns den ganzen Camino.
 

23.05.2008

Obwohl wir heute bei Regen starteten und der uns mehr oder minder auch den ganzen Tag begleitete, sind wir trotzdem 30 km gelaufen. Es war nicht unbedingt die schönste Etappe, da wir ein großes Stück am Rande einer stark befahrenen Schnellstraße (18 km) laufen mussten. Wir haben aber durchgehalten und erreichten unser Tagesziel Carrion delos Condes frohgemut, wenn auch erschöpft. Unser Nachtquartier fanden wir dieses Mal in einem Kloster. Die Betten waren hier nicht über- sondern nebeneinander. Es erinnerte uns an ein Lazarett. Wir als einzige Deutsche unter ca. 30 Italiener. Beim Essen lernten wir Johannes, aufgrund seines Aussehens und seiner Gelassenheit künftig nur noch von mir der Guru genannt, kennen. Johannes war der Gefährte mit dem wir sehr viele Etappen gingen; also die Tage und Abende verbrachten. Guru war ein Mitpilger mit dem ich sehr viele intensive Gespräche führte. Besonders abends vor dem schlafen gehen hatte er immer wieder fromme Zitate parat. Seine christliche Einstellung war vom Buddhismus überlagert und ich hörte ihm bei seinen Auslegungen gerne zu. Wir trafen hier auch Sabine wieder, unsere allererste Pilgerbekanntschaft. Johannes und Sabine schliefen aber in einem anderen Raum; Nora und ich waren ja unter lauter Italiener.
 

24.05.2008

Heute wird weniger geschrieben aber mehr gelaufen. Wir bewegen uns mittlerweile auf einer Höhe von ca. 900m. Da ist es bei Regen ganz schön kalt. Unser heutiges Etappenziel Terradillos de los Templarios erreichten wir nach ca. 28 km. Wir trafen hier auch wieder Ralf, den ich aufgrund seines Aussehens und seiner Gemütlichkeit und an Schwarzwälder Anlehnung nur d´Buhr nannte. Es ist sowieso eine schöne Sache, auf dem Jakobsweg trifft man immer wieder dieselben Leute und verliert sie auch wieder und trifft sie dann wieder, jedes mal natürlich mit einem großen Hallo. Unsere Übernachtungsstätte heute war ein Templerhaus. Hier wurde unsere verschmutzte Kleidung gewaschen und getrocknet (der Standartpreis auf dem Camino ist je drei Euro für Waschen und Trocknen). Heute hatten wir Luxus pur. Ein Zweibettzimmer mit eigener Toilette und Waschgelegenheit. Hier sang ich Nora das erste Mal das Lied „Möge die Straße uns zusammenführen…“ vor. Dieses Lied stimmte sie etwas wehmütig und es kamen auch ein paar Tränen. Vor dem Schlafengehen verbrachten wir, Johannes, d´Buhr, Sabine usw. aber noch eine schöne Zeit in der nahe gelegenen Gaststätte miteinander. Unter anderem lernten wir heute Abend auch noch Seferin aus Brasilien kennen, der uns mehr oder weniger den ganzen Weg begleitete.
 

25.05.2008

Heute sind wir, am Anfang zusammen mit dem Buhr, über Sahagún nach Calzadilla de los Hermanillos gelaufen. Wir hatten den Hauptweg verlassen und benutzten einen wunderschönen/einsamen Nebenweg. Was das tolle dabei ist, hier trifft man keinen Menschen, man ist mutterseelenallein. ca. 18km keine Mitpilger, kein Haus, nur Wiesen mit wunderschönen Blumen und Natur pur. Das Pilgern ist hier wie im Trance. Man hängt seinen Gedanken nach und hat das Gefühl, die Beine laufen von alleine. Ich dachte an die Kindheit, an die Gegenwart, an die Zukunft und dachte doch an nichts Bestimmtes. Obwohl wir ganz alleine waren, hatte ich keine Angst. Wie oft hatte ich in den Büchern von Belästigungen gelesen, Frauen sollten auf keinen Fall alleine die Nebenstrecken gehen, dass man immer in Begleitung sein sollte, an all das dachte ich nicht, ich hatte nicht die Spur von Angst. Als wir erschöpft in Calzadilla ankamen dachten wir an eine Fata Morgana, denn wie aus dem Nichts, stand der Buhr auf einmal vor uns. Lächelnd erzählte er uns, dass er uns durch das Tele an seiner Kamera immer im Blick hatte und er so etwas wie unser Schutzengel war. Wir hatten ihn deshalb nicht gesehen, da er an diesem Tag einfach schneller pilgerte. Die Zeichen die er am Weg anbrachte, hatten wir übersehen. Unsere heutige Herberge war sehr einfach. Die Schlafgelegenheit erinnerte an ein U-Boot, ein Verschlag mit vier Betten, zwei rechts und zwei links. In dieser einfachen Herberge wurde kein fester Betrag verlangt, sondern nur eine Spende angenommen. Vor dem Schlafengehen waren wir in einem kleinen und gemütlichen Gasthaus zusammen mit dem Buhr, einem Ehepaar aus Frankreich und einer Schweizerin. Wir saßen bei guter Stimmung in einem urgemütlichen spanischen Wohnzimmer und nahmen unser Pilgeressen ein. An diesem Abend habe ich auch wieder das Lied „Möge die Straße uns zusammenführen…“ gesungen. Was sehr schön war, der Buhr brachte Nora und mir dann noch ein Glas Rotwein an das Bett. Dies wurde natürlich dankend angenommen.
 

26.05.2008

Nora, ich, die Schweizerin (sie bekam später große Probleme mit ihren Füßen und konnte nicht mehr weiter) und der Buhr verlassen zusammen Calzadilla de los Hermanillos und laufen immer weiter auf den schönenund interessanten Nebenstrecken. Eine Stelle auf diesem Weg machte mich sehr nachdenklich und auch betroffen. Wir kamen an einem Pilgergrab vorbei und urplötzlich war einem wieder bewusst wie vergänglich doch das Leben ist. Nach ca. 18 km machten wir einen wohlverdienten Zwischenstopp in Reliegos. Hier wollten drei Pilger, einer aus Wolfsburg (ein fieser Angeber) und zwei nette Männer (die Opis), meinen Rucksack zurecht zurren. Sie waren der Meinung, dass er nicht richtig eingestellt war, war aber Blödsinn. Es war schon erstaunlich, dass etliche Mitpilger, insbesondere Nora, mit meinem Rucksack (es 
war nicht der neuste Schrei – kein Fabrikat Deuter –) Probleme hatte; ich war aber damit zufrieden. Das Resultat der Verstellung durch den Angeber aus Wolfsburg war, dass ich am Abend Schulterschmerzen
 hatte und den Ursprungszustand des Rucksackes wieder herstellte. Weiter ging es aber zu unserem Tagesziel nach Mansilla de las Mulas. Wolf, unser heutiger Herbergsvater ist bekannt durch die Kunst des Handauflegens und gilt als ein Original; er wird auch so in den Wanderführern erwähnt. Er sagte gleich zu Nora, „Mädchen Du brauchst Schlaf“ und verfrachtete uns beide in eine Abstellkammer mit zwei Betten, damit wir wenigstens alleine, also ungestört, schlafen konnten. Um auf die Toilette zu gelangen, mussten wir aber dann nachts mehrere Schlafsäle durchqueren auch nicht das angenehmste.
An diesem Abend trafen wir auch einen der interessantesten Mitpilger auf dem gesamten Camino, einen Patre aus Chile, der uns bis nach Santiago immer wieder begegnete und mit dem wir viele interessante Stunden verbrachten.

 

27.05.2008

Heute ging es ab nach Leon. Nicht unbedingt eine schöne Wanderstrecke. Wir wollten an sich nach Leon mit dem Zug fahren. Wolf redete dies uns zum Glück aus. Es war wie gesagt keine schöne Tour, Leon ist eine Großstadt und das sagt alles. Viele Autos und viele Häuser und viele Straßen. Unser Tagesziel, ein Kloster, liegt mitten in der Stadt in der Nähe der wunderschönen Kathedrale. Um dorthin zu kommen, mussten wir jedoch eine stark befahrene autobahnähnliche Schnellstraße überqueren. Hier erwies sich der Buhr als guter Straßenlotse. Auf sein Kommando „jetzt los“ sind wir drei über die Schnellstraße gerannt. Es war nicht ungefährlich und sah bestimmt auch komisch aus. Wir mit unseren großen Wanderschuhen, dem großen Rucksack auf dem Rücken und dem Pilgerstab in der Hand im Galopp über die Straße wetzen. Die Stadt war wie ein Schock. Die ganzen Tage „Natur pur“ und dann dieser Lärm und Gestank; aber da muss man durch. Haben hier auch wieder Sabine und Johannes (Guru) in der der Albergue, einem Kloster, getroffen. Abends wurde für die Pilger eine Messe mit Pilgersegen abgehalten. Die Messe wurde unter anderem von unserem Chilenischen Patre gehalten. Nora und ich verzichteten heute Abend auf das Pilgermahl und gingen zusammen mit Johannes Tapas essen. Dies sind lauter kleine verschiedene Häppchen und schmecken mit gutem Rotwein phantastisch. Die Stimmung war gut und die Zeit ging schnell rum, dass wir mit Glück noch rechtzeitig – kurz vor 22.00Uhr – in der Herberge ankamen; in der Regel wird um 22.00Uhr abgeschlossen. Der Schlafsaal in dem Kloster war dieses Mal (sonst in keiner Herberge vor- und nachher) getrennt nach Männlein und Weiblein.  Aufgrund der Müdigkeit und des Rotweines schliefen wir wunderbar. Es war aber sehr kalt und ich fror ziemlich. Neben mir schlief eine Engländerin und ihre Jacke hing so einladend an dem Bett, dass ich sie nahm und mich noch zudeckte; es gab nämlich leider keine Decke. Am Morgen tat ich ganz erstaunt, gab ihr die Jacke mit den Worten „ach war das ihre Jacke“ wieder zurück. Diese kleine Lüge wird ja durch den Pilgerweg wieder verziehen.
 

28.05.2008

Am Morgen verließen wir zusammen mit Johannes (Guru) und Peter, einem Geschichtslehrer und Sänger, Leon. Bis wir außerhalb der Stadtgrenze waren, vergingen gut zwei Stunden und wir waren heilfroh als wir wieder auf dem Pilgerweg, in der Natur, waren. Wir liefen wieder viele Nebenstrecken und vertrieben uns die Zeit auch mit Gesang. Johannes, der Guru, mit seinen vielen Talenten erwies sich als Pilzkenner und sammelte eine große Tüte davon, die von Nora fachmännisch gehalten wurde, um dann als Abendessen verspeist zu werden. Zurück aber zum Camino. Was mich immer wieder begeisterte, waren die satten Farben der Wiesen und die vielen schönen üppigen Sträucher und Blumen. Eine Vielfalt und Farbenpracht wie sie nur die Natur hervorbringen kann. Das Pilgern wurde fortgesetzt und in einer kleinen Ortschaft machten wir endlich auch einmal Rast und tranken gemütlich einen Kaffee bzw. ich trank Cola. Hier erfüllte ich mir einen Herzenswunsch und kaufte mir einen Pilgerhut. Wir mussten aber weiter um unser heutiges Ziel zu erreichen und kamen nach ca. 25km in der Albergue „Zum Jesus“ in Villar de Mazarife an. Nora und der Guru machten sich in der kleinen Ortschaft auf die Suche nach Zutaten für das geplante abendliche und selbst gekochte Menu. Guru machte sich gleich an die Arbeit und zauberte ein köstliches Pilzgericht zu dem er noch 10 Mitpilger eingeladen hat Alle aßen die Pilze mit großem Genuss und überlebten auch das Mahl, nur ich machte eine Ausnahme und aß Eier. Die Pilze waren mir einfach zu gefährlich. Dies tat aber der wirklich tollen Stimmung keinen Abbruch und es wurde noch ein sehr schöner Abend. Wir sangen viel, tranken unseren geliebten Rotwein und lernten wieder neue Leute kennen. Gut in die Gesellschaft passten zwei junge Mädchen aus der Schweiz und bzw. aus der Pfalz. Ein Vater mit seinen zwei Söhnen war jedoch von der lustigen Stimmung nicht besonders angetan und meinte, nicht jeder will abends unbedingt diese Lieder hören. Noch zu erwähnen ist, dass in vielen Herbergen Pilger selbst kochen. Anschließend ging es gemeinsam in den Schlafsaal und wir legten uns zur wohlverdienten Ruhe hin. Da hier sehr viel Holz an dem Gebäude verarbeitet war, knarrte es die ganze Nacht auch in allen Ecken.
 

29.05.2008

Auch heute ging es mit Guru, Peter, den beiden Mädchen mit Gesang weiter. Der Regen und die Kälte konnten der guten Stimmung keinen Abbruch tun. Nora und ich haben eine leichte Bronchitis. An sich wollten wir heute bis nach Astorga gehen. Unterwegs machten wir in einer Kirche halt und wollten uns ein bisschen ausruhen. Es war gerade Gottesdienst und eine Klasse Jugendlicher nahm daran teil. Als der Pfarrer uns bemerkte integrierte er uns in dem er den Pilgersegen erteilte. Frohgemut ging es wieder weiter und wir waren uns sicher die geplanten 30-km zu schaffen. Unterwegs begrüßte uns auch mal wieder eine überlebensgroße Pilgerfigur aus allen möglichen Materialien zusammengesetzt. Die vorbeigehenden Pilger können auch etwas an der Figur anbringen. Auf dem weiteren Weg sahen wir mal wieder ein Pilgergrab. Da wir durch die Bronchitis leicht lädiert waren und Peter auch nicht gut zu Fuß war, waren wir froh als wir endlich unser Tagesziel erreichten. Wir machten fünf km vor Astorga halt und übernachteten in einer kleinen Albergue. Den Abend verbrachten wir in einer netten Gasstätte. Wir wollten wieder die geliebten Tapas essen und den Rotwein genießen. Jedoch anstelle der bestellten spanischen Häppchen, kam eine große Platte mit Wurst, luftgetrocknetem Schinken und Käse. Die Portion war nicht zu schaffen und so wurde der Rest für den nächsten Tag eingepackt. Wir erlebten hier auch eine spanische (Un)Sitte. Die auf dem Boden liegenden Zigarettenstummel und auch Abfall wurde einfach auf die Seite, hier eine Säule, gekehrt. Ich kam mir vor, wie bei einem Friseur. Dann ging es zurück zur Herberge und in den gemeinsamen Schlafsaal. Da wir dicht an dicht lagen, las uns der Guru noch fromme Geschichten und Zitate vor. Ich muss sagen, dies ist schon beruhigend.
 

30.05.2008

Der Morgen sah wieder nur Wolken und Regen. Aber was soll’s, wir müssen weiter. Wir vier erreichen nach ca. 5 km Astorga und haben dort ausgiebig gefrühstückt und uns angeregt unterhalten. Wir rutschten bei den Themen ins philosophische ab. Es tat aber allen gut. Danach haben wir uns von den beiden Philosophen getrennt und sind alleine weiter gelaufen. Peter haben wir danach nicht mehr gesehen. Es ist sehr kalt. Die Nässe und Kälte dringt langsam durch und durch. Es ist unangenehm. Jetzt haben wir unsere ganzen Bekannten verloren und sind ganz alleine. Die Gegend ist an sich schön, aber der Regen geht uns auf den Wecker. In der Mittagspause machten wir in einer Cafebar halt und aßen Linsensuppe. Draußen waren nur dunkle Wolken und Regen und Regen zu sehen und zu hören; dies ging mir ganz schön auf das Gemüt und meine Stimmung war auf dem Tiefpunkt angekommen. Wir kamen dann auch noch in ein Gewitter und waren froh, als wir endlich  Rabanal des Camino in 1.162 m Höhe erreichten. Dann der Schock, in drei Herbergen wurden wir abgewiesen, da schon alles belegt war. Zum Glück hielt ein Auto an und eine Spanierin zeigte uns eine etwas abgelegene aber schöne, urige Alberge. Wir haben heute also doch noch Glück und sind untergekommen. Was sehr schön war, es war ein Kamin vorhanden der zum Glück befeuert wurde. Wir saßen dick vermummt um diesen herum. Das Feuer tat der Seele und dem Körper gut. Brasilianischen Mitwanderer froren noch mehr als wir und hatten alle Strickmützen auf. Das Glück war doch nicht von Dauer, denn ausgerechnet heute waren die Duschen ausgefallen. Gerade bei der Kälte eine sehr unangenehm Situation. Es war kein Wasser da und ich ging ungewaschen in meinen Schlafsack. Die Nacht war sehr kalt und ich habe wie ein Schneider gefroren. Ich konnte mich nicht erinnern, dass es mir jemals so kalt war. Obwohl sogar zwei Gasstrahler als Heizung an waren, konnte ich wegen der Kälte kaum schlafen. In dieser Nacht quälte mich ein Hustenanfall nach dem anderen und ich hatte Angst, dass meine Bronchitis sich verschlimmern könnte
 

31.05.2008

Trotz Regen machten wir uns am Morgen auf den Weg und erreichten nach ca.1 ½ Stunden Foncebadeon „das verlassene Dorf (1.439m hoch). Ich erinnerte mich sofort an das Buch von Paulo Coelho und seinem Bericht von den dem Kampf mit den wilden Hunden. Zaghaft passierten wir die ersten verfallenen Häusern, immer in der Furcht von diesen wilden Hunden angefallen zu werden. Wir fanden nur einen schlafenden Hund bzw. eine Gruppe von Leuten; dem Aussehen nach Aussteigern. Die ausgestandene Angst löste sich in Lachen auf. Da mein Husten sich wider Erwarten gelöst hatte und von der Bronchitis nichts mehr so viel zu spüren war, ging es munter weiter. Wir erreichten mit Cruz de Ferro mit 1.531 m den höchsten Punkt unserer Wanderung. Hier legten (oder auch nicht) bisher Millionen von Pilger einen Stein an dem vorhandenen Kreuz nieder und lassen symbolisch alle Probleme zurück. Diesem Brauch hatten auch schon die Römer gehuldigt Ich habe meinen Stein nicht gefunden und so ihn mit nach Hause genommen. Nun hängt er an meinem Pilgerstab als Andenken. An diesem Kreuz erlebten wir auch zum ersten Mal so genannte Buspilger. Diese Leute fahren mit dem Bus von Stadt zu Stadt und die Pilger/Wanderer laufen dann interessante Stellen zu Fuß an. Ohne großen Rucksack und nur ein paar Kilometer Gesamtstrecke. Auf dem weiteren Weg begegneten wir einem französischen Ehepaar das ihr Gepäck von einem Esel schleppen ließ. Die Welt ist schon erstaunlich und schön. Nun ging es Berg ab nach Riego de Ambros (920 m). Heute nahmen wir uns zur Feier des Tages eine Pension. Nachdem wir uns mal so richtig gepflegt hatten, gingen wir zum Abendessen aus. Wir fanden wie immer auch heute wieder angenehme Mitwanderer. Ein holländisches Ehepaar, diese waren mit dem Fahrrad von Holland aus die ganze Strecke gefahren. Weiterhin wurde die Gesellschaft durch zwei Extremwanderer (Peter und Paul, die sich aber auch erst heute getroffen hatten) erweitert. Die Tagestour dieser Spezialisten beträgt in der Regel 50 km. Paul machte sich schon in Zürich auf den Weg und wanderte mit nur 5kg-Gepäck von dort die ganze Strecke. Wie wir später von anderen Pilgern erfuhren, musste Paul aber aufgeben. Später gesellten sich noch zwei Madels aus Österreich zu uns. Da wir heute privat übernachteten, brauchten wir uns auch nicht an die Schlafenszeit 22.00Uhr halten und konnten länger zusammensitzen. Dadurch erlebten wir auch noch den Sonnenuntergang. In Spanien ist es morgens länger dunkel, dafür aber abends länger hell. An diesem Abend habe ich Paul noch ein Ständchen gebracht und ihm die beiden Lieder „Vater unser…“ und „den irischen Segen“ vorgesungen.
 

01.06.2008

Da Nora vergessen hatte den Wecker richtig zu stellen, waren wir eine Stunde in Verzug. Nora ging es heute nicht so gut; ihr Kreislauf machte ihr etwas Probleme. Wir frühstückten in der Küche und der Kaffee kam nicht so schnell auf den Tisch, wie von Nora benötigt. Dann war es soweit und wir liefen los und das ganz ohne Regen; hurra.
Wie fast immer, gingen wir nicht den Hauptweg, sondern nahmen einen schwierigen Nebenweg. Geröll und auch der überall vorhandenen Schlamm konnte uns nicht abschrecken. Zum Glück hatte ich wasserdichte Schuhe an. Die unberührte Natur entschädigte uns aber immer wieder. Nach ca. zwei Stunden erreichten wir Ponferade eine größere Stadt und kamen mit einer Frau in unserem Alter ins Gespräch. Sie saß am Wegesrand und ruhte sich aus. Ich war immer voller Interesse an dem Grund, warum auch andere Leute diesen Pilgerweg laufen und solche Strapazen auf sich nehmen. Ich fragte deshalb diese Frau nach dem Grund und bekam als Antwort: „ich habe ein Krebsleiden überstanden und bin voller Dankbarkeit“. Solche und ähnliche Begründungen hört man immer wieder. Dies zeigt ganz deutlich, dass der Camino nicht irgendein Wanderweg ist, sondern die Menschen die ihn begehen innerlich stark berührt. Wir gingen durch ein Häusermeer und waren heilfroh als wir wieder außerhalb der Stadt waren. Wir durchwanderten kleine einsame, wunderschöne Ortschaften bei Sonnenschein. Am Abend erreichten wir nach vielen, vielen Kilometern, mit hängender Zunge und auch Plattfüßen Cacabelos. Als wir ankamen war die Albergue besetzt. Dies war aber kein Problem, wir gingen in eine Pension. Diese lag über einer Cafe-Bar gegenüber einer kleinen Igleas (Kirche).Wir machten uns frisch und gingen heute einmal Pizza essen mit dem obligatorischen Rotwein dabei. Wir bummelten noch ein bisschen durch die Stadt. Da wir aber müde waren gingen wir bald in unsere Pension zurück. Dort trafen wir auch die Opis wieder. Nach einer kurzen Begrüßung gingen wir beide aber zum Schlafen.

 

02.06.2008

Heute waren wir bereits um 07.00Uhr wach und machten uns startklar. Mit dem Starten war aber nichts. O Graus, wir waren gefangen. Keine Menschenseele war mehr im Haus. Alles war zugeschlossen. Ich stand am Fenster und schaute nach Hilfe aus. Nora sagte zu mir, das sieht aus wie im Märchen „Rapunzel lasse dein Haar herunter“. Aber keine Hilfe weit und breit. Auf der Straße arbeitende Gassenkehrer erkannten unsere Not nicht. Schließlich rief Nora den Notdienst per Handy an. Die Dame in der Notdienstzentrale sprach etwas Deutsch und war sehr hilfsbereit. Zwischenzeitlich war ich auf Entdeckungstour gegangen und fand einen „dunklen“ Gang und sah am Ende einen Lichtschimmer. Ich konnte kaum etwas sehen, stolperte und stürzte eine Stufe herunter. Glücklicherweise ohne mich aber zu verletzen. Ich ging weiter und fand eine nicht verschlossene Tür. Wir waren befreit und machten uns, nachdem wir die Notdienstzentrale informiert hatten, sofort froh und glücklich auf den Weg. Es ist schon erstaunlich was man alles erlebt.
Als nächstes erreichten wir aber erst einmal Villafranca del Bierzo. Da die Normalroute (die Hape Kerkelin in seinem Buch beschreibt und auch gegangen ist) entlang der Straße war, wählten wir den extrem steil ansteigenden Höhenweg als Alternative. Dieser Weg war sehr schön, sehr einsam und sehr anstrengend. Ab heute hatten wir auch den Regen hinter uns und endlich Sonnenschein. Auf dem Weg sah ich auf einmal eine Schlange liegen. Sie bewegte sich nicht, sondern genoss anscheinend auch die Wärme. Normalerweise habe ich eine ziemliche distanzierte Einstellung Schlangen gegenüber. Hier hatte ich gar keine Angst und fotografierte sie sogar. Die Pilgerung hat mich also mutiger gemacht.
Abseits des Weges sahen wir ein kleines Dorf liegen. Wir waren sehr hungrig und verließen den Camino in Richtung dorthin und hofften, etwas Essbares zu finden. Es war auch so. Wir fanden eine Cafebar und stärkten uns. Auch in dieser Einsamkeit trafen wir eine Pilgerin und zwar aus Australien. Festgestellt hatten wir auf unserem bisherigen Weg, dass die Spanier den Pilgern gegenüber nicht gerade besonders freundlich gesinnt waren. Aber hier war es ganz anders. Sie waren freundlich und lachten mit uns.
Frischxgestärkt machten wir uns an den Abstieg in Richtung Camino und damit in Richtung Vega de Valcarce unserem heutigen Etappenziel. Wir kamen glücklich, wenn auch müde an. Was uns dann überraschte, der Schlafsaal gehörte uns ganz alleine. Keine Menschenseele war da, nur der Herbergsopa. So ganz alleine in einem großen und leeren Schlafsaal, ist aber auch nicht schön, sondern schon ein bisschen unheimlich. Wir nahmen erst noch unser Pilgeressen in einem Lokal ein und trafen hier mal wieder Severin, den brasilianischen Mitwanderer und die bei den Opis. Ich nannte sie deshalb Opis, da die beiden uns auf einer vorherigen Begegnung sagten: “kommt erst einmal in unser Alter, dann seid ihr auch nicht mehr so flott“ Es stellte sich heraus, dass die beiden gerade mal 60 Jahre alt waren, also fünf Jahre jünger als ich. Seit diesem Gespräch waren es nur noch die Opis. Wie immer gab es ein großes Hallo und Meinungsaustausch. Wir waren dann aber doch müde, gingen in unseren großen/einsamen Schlafsaal und schliefen recht schnell ein.
 
In Galicien angekommen

03.06.2008



HeutexMorgen sind wir ja „ganz alleine“ in unserer Albergue aufgewacht und konnten dadurch ungestört unsere Morgentoilette genießen. Nach dem Frühstück im nächsten Lokal machten wir uns auf den Weg und wählten die Strecke entlang der Straße. Ein Schild machte uns bald darauf aufmerksam, dass wir nunmehr in der Region Galicien waren. Von allen Regionen am spanischen Jakobsweg ist Galicien die geheimnisvollste. Wie nirgends in Spanien ist bis heute vorchristliches Gedankengut vorhanden. Hier findet man Hünengräber (4.Jahrtausend v.Chr.), mystische Symbole in ‚Stein aus der Bronzezeit (1800 v.Chr.) und vor allem Spuren der Kelten ab 700 v.Chr. Die Kelten gaben der ‚Region auch den Namen (Galläker) und prägten auch die Sprache (Gallego). Heute war es ein wirklich beschwerlicher Weg. Radfahrer überholten uns keuchend und hatten ihre Mühe. Ein 70-Jahre alter, korpulenter Radfahrer (Franzose) tat mir besonders leid. Er erinnerte mich an einen ehemaligen Nachbarn und der arme Kerl musste dauernd haltmachen. es war aber auch wirklich sehr anstrengend. Nachmittags erreichten wir trotzdem unser Ziel O Cebreiro ein galicisches, keltisches Dorf in 1.330 m Höhe. Eine herrliche Aussicht belohnte uns für die ganze Mühe. Hier erlebten wir noch ein Filmteam bei der Arbeit. Sie dokumentierten das Mit- oder Gegeneinander der Fahrradpilger mit den Normalpilgern; entsprach aber nicht ganz der Realität. Es war uns aber egal, denn wir waren todmüde und erschöpft.
Unser Pilgeressen, eine galicische Gemüsesuppe in einer Schale mit Holzlöffel dargereicht, genossen wir jedoch mit gesundem Appetit. Die keltische Musik dazu war angenehm zu hören. Hier trafen wir auch wieder Robin, eine topfitte 75-Jahre alte Mitwanderin aus Neuseeland. Nora und ich saßen danach noch eine Zeitlang auf einer Mauer und genossen das wunderschöne Panorama Galiciens. Nora hatte sich hier ein Buch mit lauter keltischen Gedichten und Gebeten gekauft. Sie las mir aus diesem Buch nun vor, unter anderem auch Hexengedichte. Ein vorbeigehendes Ehepaar sprach uns an und es stellte sich heraus, dass sie aus Offenbach waren. Wir beide gingen dann noch, trotz Müdigkeit, in die Kirche und nahmen den Pilgersegen unseres Paters aus Chile entgegen. Später im Schlafsaal sah ich bei einem italienischen Mitwanderer richtige blutige Füße. Eins ist sicher, das ist kein angenehmer Anblick und alleine das Sehen tut schon weh. Nora und ich waren zum Glück bis jetzt von so etwas verschont geblieben. Man sah aber immer mal wieder schlimme Verletzungen an den Füßen. Etliche Pilger mussten deswegen auch aufgeben bzw. sind dann mit dem Taxi oder Bus weitergefahren. Heute waren wir in dem größten Schlafsaal der seitherigen Pilgerung. Es waren bestimmt an die hundert Betten und alle belegt. An diesem Abend war uns aber alles egal und wir sanken mit einem Seufzer in Morpheus Armen. Ob wir geträumt haben, ich weiß es nicht. Ich war vielleicht zu müde dazu. Das war jedoch nur der Anfang der Nacht. Später hatte man das Gefühl, man wäre bei einem Schnarchwettstreit. Da viele Nationen ja im Saal waren, hatte ich das Gefühl, ein Land wollte das andere übertönen. Mit Sicherheit aber kein musikalischer Genuss. Die Ohropax (in den Ohren getragen zum Schutz gegen Lärm) schützten mich vor diesem infernalischem Lärm nicht. Wie hat aber mal ein kluger Mann gesagt, was uns nicht umbringt, macht uns nur noch härter.

 

04.06.2008

An diesem Morgen wunderte ich mich wie so oft, dass bei einer solchen Menge von Pilgern, es doch relativ reibungslos mit der Abend- oder Morgentoilette klappt. Bei Kälte (es waren immerhin 1.330m Höhe) machten wir uns dann auf den Weg. Zum Glück regnete es aber nicht mehr. Langsam aber sicher ging es Berg ab. Heute lernten wir auch eine junge und hübsche brasilianische Pilgerin kennen. Da ihr Gepäck immer zur nächsten Albergue mit dem Auto gebracht wurde, ging sie natürlich leicht und graziös und ohne jegliches Gepäck. Ihr Tick war, sie hielt ihren Wanderstock meistens hinter dem Rücken mit beiden Händen fest. Wir trafen unsere neue Bekanntschaft im Laufe des Tages noch öfters und kamen mit ihr auch ins Gespräch. Wir beide gingen weiter und erreichten über O Cebreiro-Hospital da Condesa-Alto du Poio – Fonfria – O Biduedo – Pasantes nach ca. 26 km Triacastela 671m hoch gelegen. Eine rustikale Gegend. Die erste Herberge sagte Nora nicht zu und wir gingen zur nächsten. Leider war die Brasilianerin dort schon vor uns und hatte das letzte Bett bekommen. Die Herbergsmutter machte sich mit uns auf den Weg in ein Privathaus.
Sie wollte uns aufmuntern und pflückte unterwegs zwei Rosen und schenkte Nora und mir jeweils eine. Wir bekamen also doch noch unser Zimmer. Wir machten uns frisch und gingen auf die Suche nach einer Gaststätte. Dort war das Pilgermahl, ein riesiges Steak mit Pommes, so riesig, dass ich noch nicht mal Hälfte schaffte. Ich war eigentlich schon von der Vorspeise satt. An unserem Tisch saßen noch eine Schottin mit Ihrer Freundin aus Berlin. Am Nebentisch entdeckten wir jedoch die Familie aus Offenbach und ich konnte die andere Hälfte des Steaks bei ihnen loswerden.

 

05.06.2008

Um 08.00Uhr sind wir aufgebrochen. Berg auf – Berg ab und sind endlich in Sarria angekommen. Als allererstes kaufte sich Nora hier zwei Sporthosen. Wir gingen die Straße entlang und mussten dann eine endlos lange/steile Treppe hochgehen. Oben angekommen fiel unser Blick auf ein Schild über einer Cafebar „Übernachtung 8,00Euro/Pilgeressen 8,00Euro“. Unser Entschluss stand fest – hier bleiben wir und gehen nicht in eine Herberge. Erst einmal duschen und dann stadtfein machen war unsere nächste Tätigkeit. Was schön war, wir konnten uns hier außerhalb der Gaststätte gemütlich hinsetzen. Hier war es auch möglich, das Pilgeressen bereits vor 19.00Uhr zu bekommen. Heute wurde es jedoch spät. Da wir wie auf dem Präsentierteller saßen, wurden wir natürlich gleich von allen vorbeikommenden Pilgern gesehen. Was für uns ganz angenehm war, wir saßen entspannt da und konnten sehen, wie sich die Pilger die Treppe hoch quälten. Ob das Schadenfreude war? An Bekannten kamen unter anderem Guru und auch Nico. Später trafen auch noch Fiorella und Alexander ein. Wir waren am Ende eine größere Gesellschaft. Es ist immer wieder erstaunlich, man verliert sich und trifft sich auf dem langen Weg immer wieder. Unser Pilgeressen, wie immer viel Fleisch, Salat und Pommes und Rotwein, nahmen wir in aller Ruhe zu uns. Nico hatte heute ganz besonders viel zu erzählen. Man merkte ihm an, dass er froh war, mal sich zu unterhalten. Nico ist in der Regel kein Gruppen- sondern mehr ein Einzelgänger. Auf dem Camino stellt man immer wieder fest, dass der Mensch eine Zeitlang alleine sein kann, dann aber unter allen Umständen es notwendig ist, sich anderen mitteilen zu können. Da der Akku von meiner Digitalkamera leer war, stellte der Wirt sogar ein separates Tischchen hin und so hatte ich während des Ladevorganges alles im Auge; wirklich mal wieder ein netter Spanier. Da nicht nur Nico, sondern alle viel zu erzählen hatten, wurde es ein langer und dank des reichlichen Rotweines auch ein lustiger Abend. Zu später Stunde machten sich die anderen auf in ihre Quartiere, während wir nur ein Treppe höher mussten.
 

06.06.2008

Heute Morgen habe ich Nora in aller Frühe geschockt. Ich weckte sie mit den Worten: „Nora, aufstehen wir müssen heute über 30-km laufen und können deshalb nicht so lange liegen bleiben“. Nora war natürlich gleich frustriert und nahm  mir diese Weckattacke ziemlich übel.
An diesem Morgen lief bei ihr ziemlich viel schief. jedes Mal wenn sie ins Bad bzw. auf die Toilette wollte, war ein anderer schneller. Ich war schon fertig und stand im Gang Wache, wenn etwas frei war rief ich „Nora – jetzt“. Meistens war es dann doch zu spät. Auf einmal brach alles aus ihr heraus. „Ich könnte heute jedem Pilger in die Fresse schlagen“. Ihre miese Stimmung hielt noch lange an. Sie hatte lange ein Tempo drauf das ich nicht mithalten konnte. Unterwegs überholte mich Thomas aus Aschaffenburg und wir gingen gemeinsam weiter. So war ich doch nicht alleine. An der nächsten Cafebar wurde es mit Nora langsam besser. Wir fielen uns in die Arme und alles war wieder gut. Das optimale an uns beiden ist, dass kleine Nickligkeiten nach kurzer Zeit vergessen sind; keine von uns beiden ist nachtragend. Anders wäre eine gemeinsame Pilgerung über so viele Kilometer auch nicht möglich. Zwischen uns beiden stimmte einfach die Chemie.
Guru und die Brasilianerin kamen auch noch. Nachdem die beiden sich in der Cafebar gestärkt hatten, gingen sie aber weiter. Nora und ich machten uns dann auch auf den Weg und sahen, dass die beiden einen falschen Weg einschlugen. Durch Zuruf brachten wir sie aber wieder in die richtige Spur. Mit Fieorella, Alexander, setzten wir dann unseren Weg fort. Wir sind endlich in Portomarin  eingetroffen und haben uns erst einmal in der Albergue einquartiert. Um zu dieser Herberge zu gelangen, mussten wir, (nach meiner Ansicht) über eine schwankende Brücke gehen. Weil man immer wieder von der Überfüllung des Camino liest, war heute mal wieder das Gegenteil der Fall. Der Schlafsaal war nur halb belegt. Bevor wir dann aktiv wurden, hat Nora ihren Heißhunger mit einer Pizza gestillt. Etwas später stellte sich auch bei den Anderen der Hunger ein und wir bestellten unser Essen. Danach sind wir bummeln gegangen. Das Wetter war sehr schön. Wir saßen an der Kirche auf einer Mauer und bewunderten die Umgebung. Nico sahen wir hier und verloren ihn auch wieder. Mittlerweile war auch Guru zu uns gestoßen. Ich freute mich sehr, denn ich konnte mich mit ihm über alles Mögliche unterhalten und wie immer brachte er mich auch heute wieder zum Nachdenken und auch zum Lachen. Gerade das Lachen baut einen immer wieder auf. Später gingen wir noch Orujo trinken. Ich nannte dieses hochprozentige Destillat aus gepressten Traubenschalen, ähnlich dem Grappa, der Einfachheit halber Ruckediku. Das Ergebnis war, dass wir eine ausgesprochen lustige Stimmung hatten. Fieorella fragte auf einmal „Nora, hattest Du eigentlich schon Deine Erleuchtung“? Ich antwortete ihr spontan, „ja heute Morgen, als sie allen Pilgern eine in die Fresse schlagen wollte“. Dieser Ausspruch löste natürlich eine große Heiterkeit aus. Mittlerweile war es auch Zeit für das Bett. Unser heutiges Etappenziel Portomarin, ist bekannt durch einen großen Stausee. Hier wurde in den 6oer Jahren des vorigen Jh. der Río Mi´no aufgestaut. Das alte Dorf, einst einest der blühendsten und reichsten Orte Galiciens, verschwand im Wasser. Nur die Kirchen San Pedro und San Nicolás wurden Stein für Stein abgetragen und im neuen Ort wieder aufgebaut.

 

07.06.2008

Da Nora erst wieder Kaffee trinken musste, bin ich schon mit Fieorella und Alexander bei herrlichem Sonnenschein losgepilgert. Wir machten an der nächsten Cafebar halt um uns zu stärken. Nora hat uns hier dann eingeholt. Nach der nächsten Kaffeepause konnte Fiorella leider nicht mehr mitlaufen. Sie wurde aufgrund Ihrer starken Schmerzen am Fuß von einem Taxi abgeholt. Alexander blieb bei uns. Auf einer Wiese liegend, genießen wir die Wärme der Mittagssonne. Nora hat aus dem Pilgerbuch mir und Alexander Gebete und Gedichte vorgelesen. Ich höre da immer gerne zu. Es war auch sehr entspannend, einfach nur so dazuliegen, die Ruhe und die Sonne zu genießen. Hier hat Nora Artur mit einer SMS über den Stand der Dinge informiert. Das hatten wir die ganze Zeit schon im Abstand von zwei Tagen so gehandhabt. Leider müssen wir dann weiter. Unser heutiges Ziel Paleis de Rei wollen und müssen wir ja erreichen. Also heißt es weiterwandern. Wir kamen auch heute wieder an unser Ziel und gingen in die Herberge. Hier war die Unterkunft einmal anders als sonst. Es waren mehrere Räume mit jeweils acht Betten. Jede Einheit hatte eine eigene Dusche und WC, welch ein Luxus. Wir machten uns wie immer frisch und gingen auf die Suche nach unserem Abendessen. Bis dahin war jedoch noch einige Zeit. Wir setzten uns erst einmal bei strahlendem Sonnenschein vor die Gaststätte und beobachteten das rege Leben. Zwischenzeitlich war auch wieder Fiorella zu uns gestoßen. Sie, Nora und Alexander bestellten sich den berühmten Jakobs-Mantelkuchen. Als ich sah, dass es den dreien vorzüglich schmeckte, bekam ich auch Hunger. Ich ging zur Bestellung an das Buffet. Es standen hier zwei Teller mit dem Kuchen. Ich deutete auf einen dieser Teller als Bestellung. Die Kellnerin schüttelte jedoch den Kopf, da diese Portionen schon bestellt waren. Ich ging wieder raus und sagte zu meinen Mitstreitern, „die sagen da drinnen, ich wäre dick genug und geben mir keinen Kuchen“. Fassungslos schauten sie mich an. Nach vielem hin und her bekam ich doch noch ein Stück. Etwas später gingen wir dann zum Abendessen. Ich bestellte mir Calamaris und heute Weißwein dazu. Es war ein sehr schöner Abend; wir haben viel gelacht sind aber dann doch etwas früher als sonst in unser Bett gegangen. Unsere heutigen Bettnachbarn waren zwei junge hübsche Mädchen aus Österreich. Als ich bereits im Bett lag und die beiden Mädels mich etwas irritiert anschauten, merkte ich, dass ich noch die Sonnenbrille auf hatte. Zwar nur auf dem Haaransatz aber, doch noch auf. Ist aber zu erklären, da hier bis nach 22.00Uhr die Sonne scheint.
 

08.06.2008














Um 08.00Uhr geht es wieder los. Jedoch mussten etliche Pilger die Weiterreise mit dem Bus vornehmen, die Fußkranken werden immer mehr. Ich musste auch zum ersten Mal meine Fußbandage benutzen, habe aber ansonsten keine Beschwerden. Alexander hatte heute große Probleme; er war etwas indisponiert.
Wie immer war es auch heute eine wunderschöne Strecke. Wir wanderten an urigen Bäumen vorbei, gingen über saftige Wiesen und genossen die Ruhe und die Natur. Was mich immer wieder faszinierte, waren die galicischen Häuser, Kirchen bzw. Dörfer. Bei einer Kaffeepause verliebte sich Nora in ein Hundchen. Sie hatte sofort Mitleid mit diesem und streichelte ihn. Der kleine Kerl fragte gar nicht lange, sondern sprang ihr auf den Schoß. Nora fing sofort zu schmusen mit ihm an. Wenn sie eine Möglichkeit gehabt hätte, sie hätte ihn mitgenommen. So musste der kleine Kerl zurück bleiben.
Die nächste Cafebar hatte als Besonderheit an der Decke  lauter Mützen befestigt. Der Wirt hatte wahr-scheinlich das Buch und den entsprech-enden Hinweis bei Hape Kerkelin gelesen. Im Wald, kurz vor Arzúa, stand ein Spanier und machte Werbung für eine bestimmte Herberge. Wir gingen dort auch hin und haben es nicht bereut. Ein ganz modernes mehrstöckiges Gebäude. Wir fuhren mit dem Aufzug in die obere Etage. Hier war der Fußboden mit Marmor belegt. Waschräume, Toiletten usw. waren vom feinsten. Heute war mal wieder der Schlafsaal nicht voll belegt. Schlimm war, dass keiner wusste, wie man das Licht ausschaltete; es war die ganze Nacht hell. Bis es aber soweit war, gingen wir erst einmal auf Entdeckungstour und landeten auf einem riesigen Platz mit vielen Bäumen und Sitzgelegenheiten vor den Lokalen. Ich habe es immer gern, wenn ich im Freien sitzen kann. Unser Abendessen, wieder mit Weißwein, nahmen wir zusammen mit den Mädchen aus Österreich ein. Da diese auch unsere Schlafnachbarinnen waren, gingen wir anschließend zusammen zur Herberge. Nora hatte noch keine Lust zum Schlafen und ging in das gegenüberliegende Lokal Fernsehen bzw. Fußball schauen. So ging ein 30-km Gewaltmarsch zu Ende. Ich war heute auch total geschafft; es war an der Grenze.

 

09.06.2008

hier mal eine typische Schlafstelle. Es ist morgens kurz nach 07.00Uhr und wir sind schon marschbereit. Wir hoffen sehr, dass es ein gemütlicher Tag wird. Unser Tagesziel Pedrouzo liegt „nur 20km entfernt. Bevor wir lospilgerten gingen wir in die gegenüberliegende Cafebar und frühstückten gemütlich. Alexander hatte immer noch Probleme und legte die heutige Etappe mit dem Taxi zurück. Vor der Cafebar lernten wir Peter aus Bochum kennen. Er sah meinen Rucksack und fragte „hast Du den auch bei eBay ersteigert“? Ich verneinte, war aber dann „froh“, dass noch ein anderer den gleichen Rucksack wie ich hatte. Wir alle gingen dann los. Das Pilgern am Morgen ist immer am schönsten. Die Natur ist noch sehr friedlich, Vogelgezwitscher ist Balsam für die Seele und die Sonne setzt einem auch noch nicht so zu.
Wie aus dem Nichts, tauchte auf einmal Bärli unser Motivationstrainer auf. Dieser hatte uns am Anfang des Pilgerweges ja Pilgerwegs ja prophezeit, dass wir den Weg nicht schaffen würden. Schon eine seltsame Motivation. Nun war er sehr überrascht, dass wir hier waren und wir den Weg genau so schnell wie er zurückgelegt hatten. Um allem eine Krone aufzusetzen, erfuhren wir dann, dass der Herr Motivationstrainer viele Kilometer mit dem Zug/Bus zurückgelegt hatte. Nun war uns auch klar, warum wir ihn nur am Anfang des Weges und nicht mehr später gesehen hatten. Heute machten wir uns aber keinen Stress und pilgerten die anstehenden 20km bis nach Pedrouzo ganz gemütlich. Wir genießen dort unser Abendessen bei einer guten Flasche Wein und freuen uns auf die morgige und letzte Etappe nach Santiago de Compostela. In der Herberge, im Schlafsaal waren einige Kirchenchor Sänger. Ich gesellte mich zu ihnen und wir sangen gemeinsam noch einige Kirchenlieder. Peter der ja bereits im Bett lag, nahm seine Ohropax heraus und hörte uns zu und war ganz begeistert.

 

Die letzte Etappe auf dem Camino

10.06.2008

Heute ist ein Wunder geschehen, Nora war bereits um 05.30Uhr wach und hat mich geweckt. Im Schlafsaal geisterte ein Mann in einem Wickelrock, die Haare lang herunterhängend mit einer Lampe auf der Stirn herum, suchte den Waschraum und sang dabei in den hellsten Tönen. Der Tag fing gut an. Um 06.00Uhr warteten schon Fiorella und Alexander vor der Herberge. Wir vier sind dann losgepilgert. Es war noch dunkel und ich habe meine Taschenlampe als Weg­beleuchtung benutzt. Am Anfang mussten wir noch durch einen Wald laufen, kurze Zeit später erlebten wir einen herrlichen Sonnenaufgang. Warum waren wir schon so früh unterwegs? Ganz einfach, wir wollten/ mussten bereits um 12.00Uhr in Santiago sein, da wir auf alle Fälle den Gottesdienst um diese Zeit in der Kathedrale miterleben wollten. Es ist schon wichtig, den Abschluss am selben Tag so zu erleben. Es waren aber doch noch 20 km zu laufen. Nora hat morgens halt ihre Probleme. Auch heute hörte ich nur „Ich will meinen Kaffee“, „Ich will meinen Kaffee“ „Ohne Kaffee komme ich nicht in die Gänge“ Ich selbst habe da keine Schwierigkeiten und kann ohne weiteres auch ohne Kaffee und Frühstück starten. Zwei Bananen während des Laufens genügen mir die ersten Stunden gut zu überstehen. An diesem Morgen musste Nora da durch. Ich hatte fest behauptet: wir werden unterwegs eine Cafebar finden. Da bis kurz vor Santiago aber keine auf dem Weg lag, hatte ich manchen Vorwurf zu hören. Den berühmten  Monte do Gozo, die letzte Erhöhung vor Santiago, erlebten wir bei Sonnenaufgang; man sieht von hier die Türme der Kathedrale. Wir waren aber dermaßen angespannt und in Eile, dass wir diesen historischen Moment gar nicht so wahrgenommen haben. Was auch interessant ist, manche Pilger deponieren hier auf einem Stein ihre Schuhe; sie sind halt froh, dass alles vorbei ist. Wir waren zum Glück aber nicht so fertig, dass wir auf einen solchen Gedanken gekommen wären.
Wir waren voller Erwartung auf Santiago de Compostela. und erreichten um 11.30Uhr die Kathedrale und waren so noch rechtzeitig im Büro und konnten uns die offizielle Urkunde ausstellen lassen. Diese Bescheinigung bestätigt, dass wir die vielen Kilometer gelaufen sind. Aufgrund der im Pilgerpass dokumentierten Einzelstempel (45 Stück insges.) erhielten wir auch anstandslos unsere Urkunde. Vor dem Ausstellen der Urkunde, mussten wir noch die Frage beantworten, ob wir aus religiösen oder sonstigen Gründen diesen Weg gegangen sind. Pünktlich um 12.00Uhr konnten wir den Gottesdienst miterleben. Es war unbeschreiblich rührend. Schon der glockenklare Gesang der Nonne, die gesamte feierliche Liturgie und die Atmosphäre gingen einfach im positiven Sinne auf das Gemüt. Als dann noch der Weihrauchkessel über unseren Köpfen durch die Kathedrale schwang, der Gesang und die Gebete ertönten, war es um mich geschehen. Ich sah hinter mir wie ein mongolisches Paar anfing zu weinen und da öffneten  sich bei mir auch die Schleusen. Es war einfach überwältigend, diese vielen Menschen aus allen Nationen in einer solchen Situation zu erleben. Wir gaben uns gegenseitig die Hand und sprachen uns durch diese Geste Mut und Zuversicht zu. Ergreifend war auch, als wir aus der Kathedrale heraus kamen, sahen wir so viele Pilger mit denen wir unterwegs immer wieder ein Stück gelaufen waren.
Es war rührend, wir fielen uns die Arme und wünschten uns Glück. Die meisten Pilger waren sehr ergriffen und ließen ihren Tränen freien Lauf. Jeder hat seine Pilgerurkunde in der Hand und war stolz und froh das Ziel erreicht zu haben. Ich rief Artur an um ihm das zu sagen. Es war nur schwer möglich, da ich mein Weinen nicht ganz unterdrücken konnte. Danach gingen wir mit Fioerella und Alexander in ein Gasthaus zum Essen; aber dieses Mal kein Pilgeressen. Nach und nach trudelten auch viele andere Bekannte von uns ein  und es wurde ein lustiger Nachmittag und Abend. Der Pilger Abschluss war gelungen. Es zeigte sich, dass so eine ideelle Pilgerung doch die Menschen zueinander führt. Es zeigte sich auch nochmals, wie auch in den Alberguen schon erlebt, dass diese Menschen alle gleich sind und das Miteinander in den Vordergrund stellen.

11.06.2008

Den vorletzten Tag begannen wir mit Nico, Fiorella und Alexander bei einem ge­meinsamen Frühstück. Nico verabschiedete sich danach und ging Richtung Finesterre (an das Ende der Welt) Wir benutzten diesen Tag zum Relaxen. Natürlich gingen wir noch einmal in die Kathedrale und ließen das erlebte an unserem geistigen Auge vorüberziehen. Vor der Kirche trafen wir dann unseren Patre aus Chile. An diesem Tage hatte man das Gefühl, dass wir die  meisten Pilger schon einmal unterwegs gesehen hatten. Wir gingen dann bummeln und trafen hier auch wieder Johannes den Guru. Nora ließ uns beide dann allein und ging in aller Ruhe shoppen. Später stieß sie wieder zu uns und zeigte erst einmal ihre neuen Kleider. Sie hatte sich die auch angezogen und damit einen Schlussstrich unter die Pilgerung gezogen. Zwischenzeitlich war auch wieder der Buhr zu uns gestoßen.
An der Kathedrale saßen wir dann alle zusammen auf dem Boden, die Kirchenmauer im Rücken und genossen das Miteinander und die wärmende Sonne. Der Sonnenuntergang, gemeinsam erlebt, war nochmals ein wunderschöner Abschluss. Abends ging es dann natürlich gemeinsam zum Feiern in eine Boteka. Wir aßen Tapas, tranken unseren geliebten spanischen Wein und ließen die Ereignisse nochmals Revue passieren. Da wir im Hotel wohnten, konnten wir auf- und zusammenbleiben ohne auf die Uhr zu schauen. Man kann eine Pilgerfahrt nicht schöner beenden wie wir es an diesem Tage getan hatten. Erlebnisse und Träume waren Realität geworden und ich muss leider wieder in das normale Leben zurück. Meine Gedanken werden immer auf dem Camino und dem dortigen Geschehen sein. Meine Erfahrungen waren so, dass das was jetzt kommt niemals das Erlebte auf dem Camino ersetzen kann! Manches Geschehene war, wie wenn Träume Wirklichkeit geworden wäre!

 

12.06.2008

Früh am Morgen packten wir zum letzten Mal unseren Rucksack. Um 07.00Uhr fuhren Thomas aus Aschaffenburg, Nora und ich mit dem Taxi bzw. mit einem wild gewordenem Taxifahrer zum Flughafen. Er fuhr, wie wenn die Mafia hinter ihm her wäre durch die Stadt. Es war beängstigend und es lag kein Grund vor, denn wir hatten Zeit. Wir waren halt drei Wochen kein Auto gefahren und daher kam uns alles etwas chaotisch/wild vor. Wir kamen Gott sei Dank aber gesund am Flughafen an. Fiorella, der Buhr, Nora und ich flogen zusammen mit der Ryanair-Maschine Nr. 4478. Diese startete pünktlich um 09.40Uhr und wir erreichten Ffm-Hahn termingemäß.
Artur stand schon da und war ganz erstaunt und auch stolz, dass wir noch so gut aussahen. Er meinte, man können annehmen, dass wir aus dem Urlaub kämen und nicht eine anstrengende Wanderung hinter uns hätten. Eine solche Begrüßung tat uns natürlich gut. Wir hatten aber auch nicht das Gefühl, als ob wir von einem 500-km langen Marsch kämen. Wir verabschiedeten uns von Fiorella, dem Buhr, Thomas aus Aschaffenburg und einem Mitpilger aus Bochum. 

Ein traumhaftes Erlebnis war beendet und doch wieder nicht. Dieses Pilgererlebnis läuft immer wieder wie ein Film vor mir ab. Wenn ich heute, Mitte Dezember/Anfang 2009, diesen Bericht schreibe, habe ich mich immer noch nicht von vielen Ereignissen während der Pilgerung gelöst. Einzelne Begebenheiten sind wahrscheinlich für immer in meinem Bewusstsein verankert und werden auch niemals in Vergessenheit geraten. Dieser Weg hat vieles in mir verändert!
 
Was habe ich aus diesem Pilgerweg gelernt und was kann ich mitnehmen?
–   ich bin belastbar
–   in Stresssituation habe ich nicht die Nerven verloren
–   kann in jeder Situation auf andere eingehen
–   kann gut ohne Schnickschnack auskommen (z.B. einfaches Essen/Unterkunft usw.)
–   bin ein kameradschaftlicher Mensch
–   verliere auch bei ganz starker Belastung nicht meinem Humor und kann anderen damit helfen
–   Einsam sein - auch hilfreich sein kann
–   Musik, Singen, Lachen immer hilfreich ist
–   man kommt Gott ein Stück näher
eines war sicher, äußerlich ging mein Leben wie bisher weiter, innerlich hatte ich etwas erlebt – ein Traum war Realität geworden, den ich nicht vergessen kann und auch nicht vergessen will.

 
Ich werde im Jahre 2009 wieder pilgern, aber ab St-Jean-Pied-de-Port.
 

Abschließen will ich mein Tagebuch mit folgendem Pilgergedicht

 Licht du von Christus
Du schriebst uns in die Sterne
den Weg, der uns erleuchten kann mit Macht.
Und dein Camino, er führt nach Compostela
führt uns zu Christus, führt zur besseren Welt.
Dass sich auf Erden des Herrn Gebot erfülle,
mit dem Er dich hierher entsendet hat.
Lasse die Menschen in allen Kontinenten
der wahren Kindschaft Gottes würdig sein.
 
 
Dieses Lied habe ich sehr oft mit anderen Pilgern – aber auch oft alleine gesungen
Irische Segenswünsche
 
Möge die Straße uns zusammenführen und der Wind in deinem Rücken sein,
Führe die Straße die Du gehst immer nur zu Deinem Ziel bergab.
Hab' unterm Kopf ein weiches Kissen, habe Kleidung und das täglich Brot.
Bis wir uns mal wieder sehen, hoffe ich dass Gott Dich nicht verlässt.
 
sanft falle Regen auf Deine Felder und warm auf Dein Gesicht der Sonnenschein.
Hab wenn es kühl wird warme Gedanken und den vollen Mond in dunkler Nacht.
Sei über vierzig Jahre im Himmel, bevor der Teufel merkt: Du bist schon tot.
Er halte Dich in seinen Händen doch drücke seine Faust Dich nicht zu fest.
 
Und bis wir uns wieder sehen, halte Gott Dich fest in seiner Hand.
 
Und bis wir uns wieder sehen, halte Gott Dich fest in seiner Hand.
 
Text und Melodie: Markus Pytlik
Text nach irischen Vorlagen
 
 
 
 
 
 
 

 
Anhang

Anhang aus wer-kennt-wen.de
 

Nachfrage von Heike Glassl, Mitpilgerin (sie hat früher aufgehört)
Von:
Heike Glassl
 
Wann:
Gestern, 16:20
 

Hallo Brunhilde
ich hoffe Ihr seit wohl behalten wieder zurück aus Spanien. Wir haben uns ja leider dann verloren und ich habe Euch gar nicht mehr gesehen – seit Ihr durchgelaufen bis Santiago oder sogar Finistere??? Ich bin bis Sarria 400 Kilometer gelaufen und musste dann aus Zeitgründen die letzten 100 Kilometer mit dem Bus fahren. War dann 3 Tage in Santiago, bevor mein Flieger von Bilbao aus zurück ging. In Santiago habe ich u.a. auch Alex aus Österreich wieder getroffen, der Euch unterwegs auch gesehen hat. In Santiago habe ich gespürt, dass ich die Kilometer die mir noch fehlen noch laufen muß, also von den Pyränen aus bis Burgos und dann die letzen 100 Kilometer. Vielleicht nächstes Jahr im Herbst… Hoffe Euch geht es gut und ich würde mich freuen, von Euch einen Bericht über Eure Reise zu hören. Liebe Grüsse Heike
 

 
 
 
 
 
 
Von:
Johanna (Hanni) Baier
Wann:
28.06.08 / 11.44Uhr
Hallo Brunhilde, ein Spruch von William Shakespeare zu deiner erfolgreichen Wanderung auf dem Jakobsweg:
Unsere Zweifel sind Verräter;
sie lassen uns das Gute verlieren,
das wir oft erringen könnten,
weil wir den Versuch fürchten.

Du hast den Versuch nicht gefürchtet und
warst erfolgreich.
Ich bewundere dich sehr!
           

An:
 
Wann:
Heute,16.07.2008, 17:14Uhr
 
Hallo
Hallo, ich wollte Ihnen eigentlich nur sagen das ich den Hut ziehe vor dem was sie geleistet haben.
 Liebe Grüße
Kerstin



 

 
Hallo Brunhilde,  die Berichte sind ja echt toll! Danke auch für die Bilder! Ich bin immer noch stolz auf Euch, dass Ihr nie mit dem Bus gefahren seit. Der Alltag hat mich noch nicht! Heute ist mein 2 Arbeitstag und wegen der EM und der Hitze ist noch alles entspannt. Viele Grüße an Nora und Aduhhhr! Habt ihr schon ein Nachtreffen gemacht? Viele liebe Grüße Euer "d'Buhhe"
 
Hauptvertretung der Allianz Beratungs- und Vertriebs-AG
Ralph Dober



Artikel aus www.my-trebur.de

 
500 km auf dem Jakobsweg
Zwei aktive Treburerinnen gemeinsam unterwegs
 
 
 
Am 19.05.2008 begannen Brunhilde Seemann ( 65 Jahre ) aus Trebur, und Nora Kohl ( 60 Jahre ) aus Astheim eine Tour der besonderen Art. Von Frankfurt-Hahn aus flogen sie nach Santander in Spanien um am nächsten Tag mit dem Pilgern zum Grab des heiligen Jakobus in Santiago de Compostela zu beginnen. 
Was hatte die beiden überhaupt veranlasst, eine solche Pilgerfahrt zu unternehmen? Brunhilde hatte sich schon lange mit dem Gedanken getragen, und konnte ihre Freundin Nora auf Anhieb damit begeistern. Die beiden begannen sofort das nächste 1/2 Jahr mit Probewandern. Zum Schluß gehörten wöchentliche Wanderstrecken wie: Trebur-Mainz, Trebur-Kühkopf, Flörsheim-Frankfurt usw. zur Routine. Sie waren also gut vorbereitet, und was noch wichtiger war, es stimmte auch die Chemie zwischen den Beiden. 
Am 20.05.2008 um 08.00 Uhr ging es dann los. Es begann der 500-Km Marsch ins Unbekannte und immer mit 10 Kg Gepäck auf dem Rücken. Nach 13 Km übernachteten sie das erste mal in einer Albergue ( spanisch für Herberge ) und erlebten hautnah wie es ist, wenn viele Leute in einem Saal zusammen liegen. Die Geräusche sind schon "menschlich". Am zweiten Tag waren sie wieder mit einer kurzen Wegstrecke ( 20 Km ) zufrieden. Der 22.05 begann bereits um 05.00 Uhr. Nicht das sie zu einer solch unchristlichen Zeit sich schon auf den Weg machen wollten, nein Mitpilger weckten sie mit Geraschel der Plastik-Tüten, Gemurmel usw. Ein Krähender Hahn im Nachbarhaus trug auch nicht zur Erheiterung bei. Was soll´s, für die Beiden begann die Wanderung dann um 08.00 Uhr und endete am Nachmittag nach ca. 21 Km. Durch den Dauerregen war alles nass und verschmutzt. Die Wäsche wurde dann mit Sicherheitsnadeln auf einer Leine befestigt. Der Schlafsaal war mit etwa 40 Pilgerinnen und Pilgern belegt. Aber die Beiden waren schon hart im nehmen, und es wurde noch ein schöner Abend. Japaner, Schweden, Deutsche, Holländer, Österreicher und Neuseeländer verstanden sich prächtig. Überhaupt hatten sie mittlerweile gemerkt, dass das Miteinander ganz wichtig ist. Obwohl sie auch heute, am 23.05. bei starkem Regen starteten, wurden 30 Km zurückgelegt. Den zwischenzeitlich gekauften Pilgerstock bzw. Pilgerstab war gerade in den Bergen und bei schlechtem Wetter ( Matsch ) eine große Hilfe. Das heutige Nachtquartier war ein größerer Saal in einem Kloster. Zwei Deutsche Pilgerinnen unter 30 Italienern. Am nächsten Tag, wie sollte es auch anders sein, ging es wieder bei Regen los. Da sie sich nun auf 900m Höhe bewegten, war es natürlich auch ganz schön kalt und das heutige Ziel lag ca. 28 Km weiter. Was sie aber immer mehr schätzten, man sieht immer wieder bekannte Gesichter. Man läuft los, trifft sich mal und verliert sich auch wieder. Es war bereits wie eine große "Familie". Das abendliche Pilgeressen ( 7,00 bis 9.00 Euro einschl. einer 1/2 Flasche Wein ) stellte auch immer wieder den Abschluss des Tages dar und lud auch gleichzeitig zum anschließenden Beisammensein ein. Am 27.05 erreichten sie mit "Leon" die erste größere Stadt. Am Abend nahmen sie noch an einer Messe teil, die von einem Mitpilger, einem Pater aus Chile, gehalten wurde. Heute war kein Pilgeressen, sondern Tapas (kleine Häppchen) und natürlich Rotwein angesagt. Am nächsten Morgen waren sie dann froh, das Häusermeer zu verlassen und es hatte sich auch wieder eine größere Gruppe "Altbekannter" getroffen die mit gemeinsamen singen die Km zurücklegten. Johannes, ein Mitpilger, sammelte Pilze, die dann am Abend mit anderen Köstlichkeiten gemeinsam zubereitet wurden. Es war wieder ein sehr schöner Abend. Am nächsten Tag, den 29.05 ging es trotz Regen und Kälte wieder mit Gesang los. Mittlerweile wäre 1.160m Höhe erreicht, und der Regen und die Kälte waren schon unangenehm. Da auch alle Bekannte heute verloren gingen, war es nicht unbedingt ein schöner Tag. In der Albergue war zum Glück ein Kamin an. Dick vermummt saßen alle am Feuer und wärmten sich. Besonders die Brasilianischen Freunde froren erbärmlich. Am nächsten Morgen ging es trotzdem weiter und es wurde in 1.439m das verlassene Dorf  "Foncebadon" erreicht. Nur ein schlafender Hund und ein paar Aussteiger waren zu sehen. Mit "Cruz de Fero" und 1.531m erreichten sie die höchste Stelle des Camino ( Pilgerweg ). Ein 5m hohes Kreutz lädt die Pilger ein, einen Stein hinzulegen und damit Symbolisch alle Sorgen hinter sich zu lassen. Der 01.06. grüßte dann mit Sonne. Nach vielen, vielen Kilometern und abgekämpft, wurde das heutige Tagesziel erreicht. Da in der Albergue alles belegt war, übernachteten die beiden Pilgerinnen in einer Pension. In den nächsten Tagen war endlich immer die Sonne da. Ein nicht alltägliches Erlebnis war auch, dass sie einmal einen großen Schlafsaal ganz alleine für sich hatten, fast schon ein unheimliches Gefühl so ganz alleine da zu schlafen. Höhepunkte waren immer wieder das treffen mit unseren "Familienmitgliedern". Die Pilger kommen aus Brasilien, Chile, Neuseeland, Südafrika, Amerika und natürlich aus ganz Europa. Es ist schon ein buntes Völkchen unterwegs und alle verstehen sich gut! Am 03.06. erreichten sie dann " Galicien", die geheimnisvollste Region entlang des Camino. Ein von Kelten geprägtes Land mit einer langen und interessanten Geschichte. Hier, wie auf der gesamten Route, waren wie immer die Nebenstrecken am schönsten. Der heutige Tag war sehr anstrengend und am Abend waren alle todmüde. Nach dem heutigen Pilgeressen, einer Gemüsesuppe mit Zutaten und als Untermahlung mit keltischer Musik, ging es sofort schlafen. Am nächsten Tag stand nur Bergauf und Bergab auf dem Programm. Es waren aber immer sehr schöne Etappen, und das Ziel rückte immer näher. Den Einen oder Anderen hatten sie mittlerweile schon verloren, blutende Füße oder starke Schmerzen in den Beinen hatten sie gezwungen, mit dem Bus oder Auto weiter zu fahren. Und dann kam der 10.06. Heute ging es von " Pedrouzo " bereits um 06.00 Uhr los. Es waren noch 20 Km bis nach Santiago de Compostela. Unter allen Umständen wollten die Beiden um 12.00 Uhr in der Kathedrale sein, und den feierlichen Gottesdienst als krönenden Abschluss mitzuerleben und sie packten es auch. Es war ein Glücksgefühl, es fiel alles Unangenehme ab und die meisten Pilger fingen an zu weinen. Die beiden letzten Tage wurden dann bei Sonnenschein zum Erholen genutzt.
Am 12.06. flogen Brunhilde und Nora mit der Erkenntnis zurück, dass eine wunderschöne Zeit vorbei war. Sie hatten erkannt, dass bei guter Vorbereitung Belastungen kein Problem sind, dass man ohne großen Schnickschnack leben kann und dass das mit- und füreinander ganz wichtig ist. Sie sind ein gutes Team und haben etwas außergewöhnliches erlebt.
(bodzi)
Aufbruch
Morgen breche ich auf,
zum Jakobsweg breche ich auf,
alle wünschen mir Glück,
alle freu´n sich mit mir,
sie beneiden mich gar.
Nur Du, Herr, weißt mehr:
Du kennst meine Angst,
die Angst vor der Fremde,
die Angst vor dem Weg,
die Angst zu versagen,
die Angst, nie anzukommen
an meinem Ziel.
Dabei bist Du doch der Weg,
dabei bist Du ja mein Ziel,
dabei bist Du meine Freude,
dabei bist Du all mein Trost!
Endlich kann ich mich freuen
und du freust dich mit mir.
 




































  
 
Quelle: http://www.my-trebur.de/aktuell/2008_kw_25_162.php
 

Artikel aus der Main-Spitze

 
Wegen der Kälte Socken über die Hände gezogen
Brunhilde Seemann und Nora Kohl pilgern auf dem Jakobsweg in Spanien/Beeindruckt von der Hilfsbereitschaft unter den Wanderern
Brunhilde Seemann (links) und Nora Kohl auf dem Jakobsweg  Repro: Danker
 
28.06.2008 Von Renate Danker
TREBUR Tief beeindruckt und noch immer bewegt sind Brunhilde Seemann aus Trebur und Nora Kohl aus Astheim nach einer Pilgerreise auf dem Jakobsweg wieder wohlbehalten zu Hause angekommen. Die 500 Kilometer weite Strecke in Spanien von Burgos bis nach Santiago de Compostela haben sie mit ihrem Gepäck auf dem Rücken ausschließlich zu Fuß in 23 Tagen zurückgelegt.
 
"Die Wege waren steinig und schwer", sagen beide wie aus einem Mund, weil es in den ersten 14 Tagen sehr viel regnete und so kalt war, dass sie sich tagsüber Socken über die Hände zogen und auch noch nachts in den Betten der Herbergen froren. In diesen Tagen seien sie oft an die eigenen Grenzen gestoßen, wenn sie sich abends mit letzter Kraft zur Unterkunft schleppten.
 
Begonnen hatten Brunhilde Seemann und Nora Kohl die Strecke zunächst ganz alleine. Je länger sie unterwegs waren, desto mehr Gleichgesinnte aus aller Herren Länder trafen sie. Darunter Australier, Chilenen, Brasilianer, Kanadier sowie andere Europäer. Manche
 
begegneten ihnen mehrmals, andere begleiteten sie ein Stück des Weges und kamen mit ihnen ins Gespräch, so wie ein chilenischer Pater, der abends Gottesdienste zelebrierte und den Reisesegen spendete.
 
Die Begegnung mit ihm schildern beide als eine sehr anrührende. Die Hilfsbereitschaft untereinander und die Erkenntnis, dass als Pilger alle Menschen gleich sind, weil die Bedürfnisse auf ein Minimum heruntergeschraubt sind, beeindruckten die beiden Frauen am meisten. Aber auch, dass sie eigene Stärken entdeckten und diese teilweise bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit ausloteten.
 
Die 65-jährige Brunhilde Seemann hatte sich schon seit langem für das Abenteuer Pilgerreise interessiert. Dabei hätten nicht spirituelle oder christliche Motive den Ausschlag gegeben, sondern eher die Hoffnung, dass Menschen verschiedenster Generationen, Nationalitäten, Motivationen und ähnliches sich bei einem Abenteuer und einer langen Wanderung vereinten. Den letzten Anstoß, es endlich zu wagen, habe wahrscheinlich Hape Kerkelings Buch "Ich bin dann mal weg..." gegeben. Weil sie diese Tour aus gesundheitlichen Gründen nicht mit ihrem Ehemann Artur unternehmen konnte, fand sie in der 61-jährigen Nora Kohl eine begeisterte Mitstreiterin. Beide haben sich durch das gemeinsame Hobby Bauchtanz kennengelernt.
 
In ihrer sechsmonatigen Vorbereitungszeit trafen sie sich wöchentlich zum "Probewandern". Jeweils 20 bis 30 Kilometer waren schon bald die Norm, wenn sie über Flörsheim nach Frankfurt, oder von Trebur nach Mainz, den Kühkopf oder Nackenheim marschierten. "Die letzten Wochen sind wir nur noch mit dem Rucksack und selbstverständlich mit dem späteren Gewicht von zehn Kilogramm gewandert", verrät Seemann. Man habe strenge Maßstäbe angelegt, um das Gewicht nicht zu überschreiten. Und diese guten Vorbereitungen zahlten sich aus. "Wir haben viele blutige Füße gesehen. Vor allem bei jüngeren Pilgern, die vom Sofa aus auf die Strecke gegangen sind", erzählt Nora Kohl, während es bei ihnen selbst keine einzige Blessur gegeben habe.
 
Begegnet ist ihnen auch ein Ehepaar, das auf einem Esel reiste. Gesehen haben sie aber auch Pilger, die sich fahren ließen. Überwältigt waren sie von den Schönheiten der Landschaft, die dazu beitrugen, dass sie ihre Pilgertour "traumhaft" nennen. Weil Seemanns Wanderstöcke bereits am ersten Tag kaputt gingen, kaufte sie sich einen Pilgerstab, der von seinem Aussehen an einen Bischofsstab erinnert. Bei den Mitpilgern sei sie fortan "die Päpstin" gewesen.
 


Bericht in der Heimat-Zeitung vom 12.07.2008

Mit Rucksack und Wanderstab waren Brunhilde Seemann (links) und Nora Kohl auf dem Jakobsweg
unterwegs. Wegen ihres geschwungenen Stabs wurde B. Seemann auch „die Päpstin“ genannt.
 
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Zwei Frauen auf einer Reise zu sich selbst
Jakobsweg: Nora Kohl und Brunhilde Seemann pilgern gemeinsam 500 Kilometer nach Santiago de Compostela
 
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TREBUR. „Buen Camino!“ wünschen sich die Pilger des Jakobswegs. Das bedeutet „Guter Weg!“. Diesen Gruß hörten Nora Kohl (60) und Brunhilde Seemann (65) gleich zu Beginn ihrer Reise. Die beiden Renterinnen sind gemeinsam ein großes Stück des Jakobswegs gepilgert. Von Burgos in Spanien sind sie bis nach Santiago de Compostela gewandert. In nur drei Wochen legten die Pilgerinnen über 500 Kilometer der französischen Route zurück. „Ich bin zu mir selbst gekommen“, sagt Nora Kohl aus Astheim überglücklich. Der Weg habe ihr gezeigt, dass sie eine Stärke habe, von der sie vorher nichts wusste. Diese Erfahrung hat auch Brunhilde Seemann aus Trebur gemacht. Die Strapazen hätten ihr gezeigt, wie belastbar sie ist. Zielstrebigkeit und Durchhaltevermögen lehrt der Jakobsweg die Pilger, ebenso wie das Prioritäten setzen. Das beginnt bereits vor der Abreise. „Wir mussten uns genau überlegen, welche Kleidung wir mitnehmen“, berichtet Seemann. Praktisch und leicht musste sie sein. Insgesamt waren es gerade einmal zehn Kilogramm, die die beiden täglich auf Etappen von etwa 25 Kilometer mit sich trugen. Ein halbes Jahr vor der großen Wanderung, zu der sie Mitte Mai aufbrachen, begannen die Rentnerinnen mit den Vorbereitungen. Sie liefen nach Frankfurt, auf der anderen Rheinseite entlang und überall durch die Region. Am Ende waren sie so fit, dass sie einfach mal zu Fuß nach Mainz liefen, um ein dort abgestelltes Auto zu holen. Doch auf das Abenteuer Jakobsweg mit all seinen Strapazen könne man gar nicht genug vorbereitet sein, wie sie sagen. „Mich interessierte das Thema seit langem. Es waren nicht spirituelle oder christliche Motive, sondern eher die Hoffnung, dass Menschen verschiedenster Generationen und Nationalitäten sich auf ein gemeinsames Abenteuer einlassen“, sagt Seemann. Auch habe sie sich in der Einsamkeit der Wanderung Gott etwas näher gefühlt. Über ihr ganzes Leben habe sie nachgedacht. „Man ist wie in Trance“, meint sie. Drei Wochen lang waren die Jakobsmuschel und die gelben Pfeile auf Hinweisschildern und der Straße ihre Richtschnur.
 
Die beiden Frauen wanderten von Herberge zu Herberge, dabei nahmen sie nicht immer die Hauptroute, sondern verlängerten ihren Weg oft durch interessante Nebenrouten. „Wir sind auf so schöne Gebiete und Ausblicke gestoßen, das ist unbeschreiblich“, erinnert sich Seemann. Jede Station musste mit einem Stempeleintrag nachgewiesen werden. Auf ihrem Weg haben die Frauen in Herbergen und Kirchen insgesamt 45 Nachweise gesammelt. Die belegen die Route und sind für das Ausstellen der Pilgerurkunde am Ende notwendig. Nicht immer waren die Routen schön und gut zu laufen. Mehr als einmal seien die Treburerinnen an ihre Grenzen gestoßen, doch sie haben durchgehalten und das, obwohl es zwei Wochen fast nur regnete. Ihr schönstes Erlebnis hatten die beiden gleich zu Beginn. Als sie in Burgos losliefen, überholte sie ein Radfahrer, der den Weg ebenfalls abfahren wollte. Als er schon an ihnen vorbei war, drehte er sich noch einmal um und wünschte einen guten Weg. „Das hat mich sehr gerührt. Es war der erste Pilger, dem wir begegnet sind“, fügte Seemann hinzu.
 
Überhaupt war sie begeistert vom Miteinander auf dem Pilgerweg. Sie trafen viele Leute, die sie den ganzen Weg begleiteten. Pilgern führe die Menschen zusammen. „Das Miteinander steht im Vordergrund, und der Schnickschnack des Lebens gerät in Vergessenheit“, erzählt Seemann. Das merke man allein schon am Essen. Abends gab es für die Wanderer ein einfaches Pilgeressen. Auch die Unterkünfte in den verschiedenen Herbergen für drei bis neun Euro waren nicht sehr komfortabel. Es gab teilweise Zimmer mit 40 Betten. Doch selbst das Geschnarche der Mitwanderer konnte die beiden nicht im Schlaf stören. „Wir fielen abends todmüde ins Bett“, merkt Seemann an. Das ist kein Wunder, schließlich starteten die beiden auf etwa 800 Meter Höhe, das Ziel lag bei etwa 400 Meter Höhe und dazwischen überwanden sie den höchsten Punkt mit 1531 Metern. Zur Messe kamen sie nach ihrer langen Wanderung in Santiago de Compostela an. „In der Messe gab es kein Halten mehr, die Tränen flossen“, erinnert sich Seemann an das überwältigende Erlebnis. „Die ganze Wanderung war eine Bereicherung.“
 
Artikel und Photo: Sonja Friedrich 12.07.2008
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 




























 



Die Gesamtstrecke des Pilgerweges

 


 

Die Kathedrale von Santiago de Compostela


Dieser gelbe Pfeil ist der Richtungsweiser für den gesamten Jakobsweg durch Spanien. Er und die Muschel sind für den Pilger sehr wichtig – wie Vertraute, die immer da sind, wenn er sie braucht  Es ist gigantisch, dass eine Strecke durch das ganze Land so „ bemalt“ und gekennzeichnet ist. Auf Tafeln, Schildern, Steinen und Strassen. Der ganze Weg war sehr gut ausgeschildert und, wenn man aufpasste konnte man sich kaum verirren. Von kleinen Umwegen abgesehen, waren wir immer auf dem richtigen Weg.






 


letzte Änderung: 31.03.2012